Die Herstellung von Leitungssätzen gilt nach wie vor als einer der letzten stark manuellen Prozesse in der Automobilindustrie. Angesichts wachsender Variantenvielfalt, steigender technischer Anforderungen und des zunehmenden Drucks zur Rückverfolgbarkeit stoßen bestehende Produktionskonzepte zunehmend an ihre Grenzen. Ziel der Standardisierungsinitiative Leitungssatz (SILS) ist es daher, übergreifende Grundlagen für eine automatisierte, modulare und interoperable Leitungssatzfertigung zu schaffen – entlang der gesamten Wertschöpfungskette. Die DIN 72036 „Automatisierung der Leitungssatzfertigung“ bildet dabei den normativen Rahmen dieser Entwicklung.
Im Rahmen des SILS-Forums am 21. Mai 2025, das Teil der virtuellen Innovationsschau des Transformations-Hub Leitungssatz war, wurden aktuelle Projektfortschritte vorgestellt und diskutiert. Herr Rumpelt gab dabei einen Überblick über die Projektfamilie „Leitungssatz“ in der ARENA2036 und zeigte auf, wie die verschiedenen Initiativen ineinandergreifen, um gemeinsam die Transformation der Leitungssatzfertigung voranzutreiben.
Weitere Informationen zur Standardisierungsinitiative Leitungssatz sowie Beteiligungsmöglichkeiten für Unternehmen finden Sie auf der ARENA2036-Webseite.
Der Leitungssatz gilt als eine der aufwendigsten und komplexesten Komponenten im Fahrzeug – mit hoher Variantenvielfalt, großem Montageaufwand und bislang stark manueller Fertigung. Jürgen Reinert stellte klar, dass ohne technische Standardisierung keine wirtschaftlich tragfähige Automatisierung möglich ist.
Er verdeutlichte, dass die DIN 72036 die Grundlage schafft, um Bauteile, Prozesse und Datenprofile zu vereinheitlichen. Die Norm zielt darauf ab, nicht nur Effizienz zu steigern, sondern auch Investitionssicherheit zu schaffen – vergleichbar mit erfolgreichen Standards aus anderen Branchen, etwa dem RAST-System. Herr Reinert warf außerdem einen Blick in die Zukunft: Die Einführung automatisierter Konformitätsprüfungen im Engineering-Prozess soll künftig die Umsetzung der Norm weiter systematisieren und objektivieren.
Die DIN 72036 bildet den normativen Rahmen für die Automatisierung der Leitungssatzfertigung. Carsten Kübler erläuterte, wie durch die Kombination von Gestaltungsrichtlinien und digitaler Produktbeschreibung ein durchgängiger, praxisorientierter Standard entsteht.
Im Fokus des Vortrags stehen die Effizienzgewinne durch die Standardisierung und Automatisierung von Leitungssätzen. Ziel ist es, die Vielfalt der Komponenten beherrschbar zu machen und die Produktionsprozesse nachhaltig zu verbessern. Dafür greift die DIN 72036 auf Gestaltungsrichtlinien zurück, die Anforderungen an Konzeption, Design, Fertigung und Komponenten definieren. Version 1 der Norm legte die methodische Grundlage mit Fokus auf den Niedervoltbereich. Mit Version 2 wird dieser Rahmen nun deutlich erweitert – insbesondere um Hochvolt- und Hochfrequenzleitungen.
Zur Entwicklung automatisiert fertigbarer Leitungssätze und Fertigungsanlagen werden quantifizierbare objektive Bewertungsmaßstäbe hinsichtlich der Normkonformität von Leitungssätzen benötigt. Lukas Bös präsentierte mit der Normkonformitätszahl (DDA) ein praxisnahes Instrument, das genau dies leisten soll.
Die Normkonformitätszahl bietet eine praxisnahe Grundlage, um die Konformität zur DIN 72036 in allen Entwicklungsstadien messbar zu machen und bewertet, wie gut ein Leitungssatzdesign mit den Anforderungen der DIN 72036 übereinstimmt. Diese Kennzahlen basieren auf drei Kernprozessen: Blockloading, Leitungsschutzapplikation und Halteteileapplikation. Herr Bös zeigte, wie sich die Einzelkennzahlen berechnen und zu einem Gesamtwert zusammenführen lassen.
Ein zentrales Ziel der Norm ist die Verbesserung automatisierter Steckverbindungen. Jens Haun zeigte, wie neue Gestaltungsrichtlinien für Niedervolt-Steckverbinder entwickelt wurden – mit Blick auf Automatisierbarkeit und Prozesssicherheit.
Herr Haun erläuterte konkrete Anforderungen, etwa an Referenzflächen, Störkonturfreiheit oder die definierte Endlage von Verriegelungselementen. Darüber hinaus wurde die Arbeitsstruktur des Teilprojekts angepasst: Neue Themen werden über einen Ideenspeicher identifiziert, durch verantwortliche Owner vertieft und strukturiert in Meetings eingebracht. Auch die Bewertung hybrider Steckverbinder wurde als zukünftiger Arbeitsschwerpunkt skizziert.
Mit über 50 neuen Richtlinien für HV-Komponenten und Prozesse leistet TP4 einen wesentlichen Beitrag zur Version 2 der DIN 72036. Helmut Wichmann zeigte, wie diese Inhalte methodisch aus einem Ideenspeicher heraus entwickelt und mit anderen Teilprojekten abgestimmt wurden.
Die Richtlinien adressieren etwa HV-Verteiler, Leitungslängen, Steckertypen und Montageanforderungen. Ergänzend wurden Begrifflichkeiten überarbeitet und eine Matrixsystematik (BOP-BOM) eingeführt, um Bauteile und Prozesse systematisch zu strukturieren. Beiträge aus F&E-Aktivitäten, etwa zur Lasernachbedruckung, sind bereits in Vorbereitung für die Weiterentwicklung der Norm.
TP5 befasst sich mit der Integration HF-spezifischer Anforderungen in die DIN 72036. Sebastian Maier skizzierte die komplexe Ausgangslage: HF-Leitungen werden zwar bereits weitgehend automatisiert verarbeitet, jedoch auf Basis unterschiedlich gewachsener, firmenspezifischer Systeme – was eine übergreifende Standardisierung erschwert.
Der Beitrag steckte zunächst die normseitige Definition der Applikationsebene Hochfrequenz ab und stellte die ersten Arbeitsschritte vor: In Version 2 wurden bestehende Gestaltungsrichtlinien auf HF-Anwendbarkeit geprüft und HF erstmals in die Normstruktur aufgenommen. Zu den jüngsten Inhalten zählen GR zu Leitungslängen von Koaxialleitungen sowie Vorgaben zur Orientierung von Komponenten-Reels in Produktionsanlagen.
Die automatisierte Überprüfung von Gestaltungsrichtlinien erfordert eine digitale Repräsentation der Produkte. Johannes Becker zeigte, wie Anforderungen aus der Norm in maschinenlesbare Datenmodelle abgebildet werden – insbesondere in KBL und VEC.
Ziel ist es, die Umsetzbarkeit von Designvorgaben bereits im Engineering bewerten zu können. Das Teilprojekt fungiert als Schnittstelle zwischen Norm, Technik und IT und stellt die digitale Überprüfbarkeit der Gestaltungsrichtlinien sicher. Zudem werden Lücken in bestehenden Datenformaten identifiziert und Vorschläge zur Erweiterung in die zuständigen Gremien eingebracht. Damit wird die digitale Produktbeschreibung zu einem zentralen Werkzeug der Normanwendung.